Bei der diesjährigen Matinee zum Tag der Menschenrechte hat sich Theologe und Soziologe Jürgen Miksch mit dem Thema „Menschen auf der Flucht – eine Jahrhundertaufgabe” befasst. Er ging dabei auf die Ursachen moderner Fluchtbewegungen ein: Kriege, Krisenherden, Hunger, Armut, aber auch der Klimawandel oder die Vernichtung wirtschaftlicher Existenzen durch Subventionen oder internationale Handelsabkommen, zum Beispiel der EU. Flüchtlinge seien Botschafter derartiger Missstände und Menschenrechtsverletzungen.
Miksch, der auch Gründer und Initiator verschiedener sozialer und interreligiöser Einrichtungen, unter anderem Pro Asyl, der Obdachlosenzeitung BISS oder dem Interkulturellen Rat Deutschland ist, kritisierte den Umgang der Weltgemeinschaft mit dieser Problematik. In vielen Staaten habe sich eine Abwehrhaltung entwickelt. Oder man versuche mit Mitteln wie der Obergrenze der Situation Herr zu werden, die jedoch gegen die Genfer Konvention verstoße, die Deutschland mit unterschrieben hat.
„Als ob es Obergrenzen geben könnte, wenn Menschen um ihre Existenz kämpfen“, so seine Einschätzung. Eine solche Verweigerung sei mit dem europäischen Menschenrechtsgedanken nicht vereinbar. Europa brauche sichere und legale Zugangswege sowie eine faire Verteilung der Flüchtlinge. Mit großer Sorge sieht Miksch auch die Übergriffe auf Flüchtlingsheime in Deutschland: „Die Zivilgesellschaft bei jedem rassistischen Übergriff Gesicht zeigen“, so seine Forderung.
Um die aktuelle Herausforderungen der Fluchtbewegungen weltweit zu bewältigen, forderte Miksch noch stärkeren weltweiten Einsatz, um deren Ursachen zu bekämpfen. Entwicklungshilfe müsse sich mehr daraufhin ausrichten, dass sie auch zur Beseitigung von Fluchtgründen beiträgt. Es müsse mehr selbsttragende Strukturen in den Ländern geben, die man damit unterstützt. Unsere eigene Wirtschaftsweise solle verstärkt darauf hin geprüft werden, ob sie Fluchgründe begünstigt. Und die Kosten für die Unterbringung der Flüchtlingsinfrakstruktur müsse zuverlässig von den Staaten übernommen und deren Existenzminimum gesichert werden. Wenn diese Jahrhundertaufgabe der modernen Fluchtbewegungen richtig angegangen würden, könnten sie auch eine Bereicherung sein, so das abschließende Fazit von Miksch.
Matinee zum Tag der Menschenrechte fand in Ingolstadt zum zwanzigsten Mal statt
Eine Menschenrechts-Matinee wie die der Ingolstädter Amnesty-Gruppe ist zumindest im Süden der Republik einmalig. Amnesty International Ingolstadt erinnert mit der Veranstaltung an die Verabschiedung der Menschenrechtscharta 1948 in Paris, formuliert als Antwort der internationalen Staatengemeinschaft auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs und die Menschenrechtsverbrechen im Nationalsozialismus.
Mit der Matinee am 10. Dezember 2017 fand die Veranstaltung nun zum 20. Mal statt. Viele prominente Persönlichkeiten waren zu Gast, haben menschenrechtliche Grundfragen analysiert und aktuelle Probleme erörtert. Die Liste der Rednerinnen und Redner liest sich zum Teil wie das Who is Who derer, die öffentliche Debatten in Deutschland bestimmten wie die ehemaligen Minister Heiner Geißler und Gerhart Baum, der ehemalige Bremer Bürgermeister Hans Koschnick oder der Publizist und Fernsehmoderator Roger Willemsen.
In den Reden spiegeln sich Themen wider, die ihre Aktualität bis heute nicht verloren haben:
Guantánamo und Folter
Barbara Lochbihler, damalige Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland und jetzige Europaabgeordnete und Roger Willemsen (2006) sowie Professor Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter über Folter (2007)
Religionsfreiheit
Professor Heiner Bielefeldt, Universität Erlangen-Nürnberg, UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit (2011)
Wirtschaft und Menschenrechte
Julia Duchrow von Brot für die Welt
Nationalismus und Menschenrechte
Heiner Geißler (2000)
Migration, Flüchtlinge und Integration
Marieluise Beck, damalige Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2004); Professor Milad Karimi, Islamwissenschaftler an der Universität Münster, „Menschenrechte im Angesicht der Flucht“ (2016); Jürgen Micksch, „Menschen auf der Flucht – eine Jahrhundertaufgabe“ (2017)
Der glanzvollste Gast war sicher Dr. Auma Obama aus Kenia, die Schwester des vormaligen Präsidenten der USA. Ihr Thema: „Zugehört und Wahrgenommen – Auch ein Menschenrecht!“
Nicht minder attraktiv die Auftritte von:
Wolfgang Schomburg, Richter am UN-Strafgerichtshof in Den Haag und Arusha: „Schutz der Menschenrechte durch internationale Strafgerichtsbarkeit“ (2003)
Avraham Burg, Jerusalem, israelischer Autor, als ehemaliger hochrangiger Politiker u.a Berater von Ministerpräsident Schimon Peres. Sein Thema: „Der Nahostkonflikt und die Menschenrechte“ (2010)
Gert Heidenreich, Schriftsteller und Sprecher, mit einer fulminanten Rede zu „Lessing adieu – Vernunft in fanatischer Zeit“, die den Bezug zur Inszenierung von „Nathan der Weise“ im Großen Haus des Stadttheaters herstellte (2015)
Ruth Weiss, deutsch-jüdische Journalistin und Schriftstellerin aus Großbritannien, über „Kreisläufe der Gewalt – Entwürfe für Konfliktlösungen“ (2001)
Konzeption und Leitung des Ingolstädter Tags der Menschenrechte: Gudrun Rihl, Amnesty International Ingolstadt
Wesentlich zum Gelingen trugen bisher bei: das Kulturreferat und das Stadttheater Ingolstadt sowie die vielen Vereine der Informationsbörse.
Weitere Informationen zur Matinee zum Tag der Menschenrechte 2017